Ein Dokument, das provoziert

Bei der „Epistola Perlonga“ handelt es sich um das Antwortschreiben Pater Josef Kentenichs auf den Bericht von Weihbischof Dr. Bernhard Stein, den dieser über die bischöfliche Visitation der Apostolischen Bewegung von Schönstatt, die er vom 19. bis 28. Februar 1949 als Visitator durchführte, verfasst hatte. Dieses Schreiben, das kirchliche Amtsträger nicht wie von Pater Kentenich gewünscht als Beitrag zur Diskussion sondern eher als Provokation empfunden haben, steht sozusagen am Beginn der Auseinandersetzungen zwischen amtskirchlichen Stellen im Bistum Trier und später in Rom, die schließlich zum 14jährigen Exil Pater Josef Kentenichs geführt haben.

Darstellung der Textstruktur

Erhellend war die Erschließung der inhaltlichen Struktur des umfangreichen Textes, den Pater Kentenich in fünf Sendungen aus Südamerika an das Bistum Trier übermittelt habe. Kentenich habe Schönstatt im Visitationsbericht angefragt gesehen unter dogmatischen, juristischen, organisatorisch seelsorgerlichen und pädagogischen Gesichtspunkten. Sein Antwortschreiben setzte sich fast ausschließlich mit den pädagogischen Grundauffassungen auseinander und hier vor allem mit dem religionspädagogischen Schwerpunkt. In der vorgestellten inhaltlichen Struktur wurde deutlich, dass der Schönstatt-Gründer sowohl Methode und Ziel seines religionspädagogischen Ansatzes darstellen wollte, den Schwerpunkt aber eindeutig bei der Zielsetzung „neuer Mensch – neue Gemeinschaft“ gesetzt habe und hier vor allem verbunden mit der Frage nach dem „vollkommenen Gehorsam“. Offensichtlich, so Söder, habe Kentenich eine in guter scholastischer Manier strukturierte Antwort auf den Visitationsbericht aber nicht bis zum Schluss durchhalten können. Das sei den letzten drei Sendungen zu entnehmen, deren Themen nicht mehr eindeutig der ursprünglich geplanten Struktur zuzuordnen seien.

Der erste JKI-Studientag nach der Pandemie fand in einem eher kleinen Kreis statt (Foto: Brehm)

Vergleich wesentlicher Textfassungen

In seinen weiteren Ausführungen machte Prof. Söder deutlich, dass es bei einer historisch-kritischen Ausgabe eines Textes darum gehe, diesen so aufzubereiten und zu erforschen, dass er schließlich in einer verlässlichen Fassung zur Verfügung steht, die Grundlage weiterer wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Text sein könne. Dazu sei es zunächst notwendig gewesen, die zur Verfügung stehenden Textüberlieferungen miteinander zu vergleichen und Abhängigkeiten bzw. Abweichungen zu dokumentieren. Grundlage für diese Arbeit war das Originalschreiben aus dem Trierer Bistumsarchiv, eine Abschrift des Originales, die sich im vatikanischen Archiv des Heiligen Offiziums/Kongregation für die Glaubenslehre befindet und seit März 2020 erstmals zugänglich ist, sowie ein sogenanntes Handexemplar P. Kentenichs, das sich als weitere Abschrift des Originales im Archiv der Schönstätter Marienschwestern auf Berg Schönstatt, Vallendar, befindet.

Auf der Grundlage dieser sogenannten Textträger sind die beiden Editoren dabei, sich der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Textes anzunähern. Sie wollen, wenn möglich noch im ersten Halbjahr des Jahres 2022 den Text in einer authentischen Fassung veröffentlichen, in der alle Abweichungen akribisch dokumentiert sein werden. Besondere Beachtung finden beim Vergleich der Textfassungen auch sogenannte „Benutzerspuren“. Im Originaltext finden sich davon in einer ersten Schicht unspezifische Unterstreichungen, Anstreichungen, Fragezeichen und Ausrufezeichen ausgeführt mit einem groben Farbstift. In einer zweiten Schicht sind in Tinte ausgeführte kritische Kommentare eines sachkundigen Lesers zu finden. Eine Überraschung sei es für die Forscher gewesen, festzustellen, dass die handschriftlichen Anmerkungen aus dem Original von derselben Handschrift sehr sorgfältig in die vatikanische Abschrift übertragen worden seien. Das weise wohl darauf hin, dass sichergestellt werden sollte, dass die Lesart des ursprünglichen Empfängers in Trier an die Bearbeiter in den vatikanischen Behörden weitergegeben werden sollte.

Erschließung von Quellenmaterial

Zur historisch-kritischen Ausgabe gehört auch die Erschließung des bei der Texterstellung verwendeten Quellenmaterials. Im Text erfolgen dazu ausführliche Hinweise in Fußnoten. Zusätzlich wird es eine umfangreiche Literaturliste geben, sodass für die weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Text entsprechende Ursprungsquellen leichter zu finden sein werden.

Die Darlegungen von Professor Söder, der seinen terminlich verhinderten Kollegen mitvertrat, zeigten, wie sehr Pater Kentenich mit der theologischen, pädagogischen und psychologischen Literatur seiner Zeit vertraut war und sich auf diese beziehen bzw. seinen Ansatz von diesen abgrenzen konnte. Der Einblick in die Editionswerkstatt ließ hier spannende Querverbindungen deutlich werden.

Studienausgaben von Dokumenten zur Geschichte der Schönstatt-Bewegung

Geplant ist, dass die historisch-kritische Ausgabe der „Epistola Perlonga“ als Band 5 in der Reihe der Studienausgaben von Dokumenten zur Geschichte der Schönstatt-Bewegung im Patris Verlag herausgegeben werden soll. In dieser Reihe sind bereits die „Berichte der Bischöflichen und Apostolischen Visitation 1949 bis 1953“ als Studienausgabe 1 und unter dem Titel „Auseinandersetzung mit dem Heiligen Offizium – Der Briefverkehr zwischen Pater Kentenich und Generalrektor Turowski SAC“ Teilband 1 der Studienausgabe 3 erschienen.

Epistola Perlonga
Studienreihe: Dokumente zur Geschichte der Schönstatt-Bewegung (Foto: Brehm)

Mehr Informationen dazu: „Artikel „Neue Einblicke in die Geschichte der Schönstatt-Bewegung möglich“
JKI Jahrestagung 2022

Dem JKI-Studientag voraus ging die Jahrestagung 2022 des Josef-Kentenich-Institutes, bei der im Rahmen eines Rückblicks auf die Jahre 2021/2022 an Günter Niehüser (11.05.1953-10.04.2021), Pfr. Georg Egle (30.06.1939-17.04.2021), Prof. P. Dr. Joachim Schmiedl (18.12.1958-10.12.2021) und Rudolf Gerber (04.10.1932-06.03.2022) erinnert wurde. Die vier JKI-Mitglieder wurden in diesem Zeitraum vom ewigen Vater heimgerufen und hinterlassen – jeder in seiner Art – eine große Lücke im Institut. Zurückgeblickt wurde auch auf den Kongress „Bildung wozu?“, der im Oktober 2021 stattfand, sowie auf das Kursangebot im Bereich „Geistliche Begleitung“. Schließlich wurde unter dem Stichwort „Vernetzung“ über Kooperationen mit der von der Schönstatt-Bewegung eingesetzten internationalen Forschungsgruppe sowie die Zusammenarbeit mit dem „Campus für Theologie und Spiritualität Berlin“ (CTS), einer Hochschule neuen Typs der Orden und Geistlichen Gemeinschaften gesprochen, bei der das Josef-Kentenich-Institut sich aktiv in die Gestaltung des „Studienjahrs Berlin“ (Start Herbst 2022) und des „Cross Over“ (Start Herbst 2023) einbringt.

Mehr Informationen zur CTS: www.cts-berlin.org