Papstreise nach Kanada: Gemeinsam auf dem Weg der Buße und Heilung

Christine Seuss - Vatikanstadt

Was wird der Papst in Kanada machen?

Radio Vatikan: Am Sonntag geht es schon los und auf der 6-tägigen Reise wird Franziskus Indigenen-Vertreter, den lokalen Klerus, Jugendliche und ältere Menschen treffen, sowie eine Messe in Edmonton und in Quebec feiern. Auch ein Treffen mit ehemaligen Schülern der früheren Residential Schools ist vorgesehen.

Ein Höhepunkt ist sicher am Mittwoch die Teilnahme an der Wallfahrt zum Lac Ste. Anne, das ist ein großer See in der Nähe von Edmonton, wo jeweils um den Gedenktag der heiligen Anna, also Jesu Großmutter, am 26. Juli eine große Wallfahrt stattfindet. Die heilige Anna liegt den indigenen Gemeinschaften besonders am Herzen und Vertreter insbesondere der First Nations nehmen jedes Jahr an der Wallfahrt teil. Dass Papst Franziskus da dabei sein wird, ist natürlich ein besonderes Fest.

Trotz der teils nachtschlafenden Zeit, zu denen die Papstbegegnungen in Kanada mit Blick auf unsere Zeitzone stattfinden werden, werden wir natürlich alle Events und Messen live über die üblichen Kanäle kommentieren, man kann sich die Übertragungen aber dann auch am nächsten Morgen in Youtube oder auf unserer Webseite nochmals anschauen.

Walking together, also gemeinsam gehen, lautet das Motto der Papstreise nach Kanada. Was bedeutet das im kanadischen Kontext?

Radio Vatikan: Ja, das hat im kanadischen Kontext vielleicht tatsächlich noch einmal eine tiefere Bedeutung, als es auf den ersten Blick scheinen könnte. Denn „gemeinsam gehen“ bezieht sich nicht nur ganz allgemein und „gut katholisch“ auf die Katholiken oder auf die einzelnen Gruppen der Gesellschaft im Land, sondern auch und in besonderem Maße auf die Indigenen, auf die Reise der Versöhnung und Vergebung, die in diesem Land ansteht und welche ja auch ein wichtiger Grund für die Papstreise ist.

Bei seinem Treffen mit den Indigenen im Vatikan Ende März/Anfang April, bei dem Franziskus seine Reise nach Kanada innerhalb dieses Sommers versprochen hatte, hatte der Papst auch gesagt „Ich hoffe, dass die Treffen dieser Tage auch weitere gemeinsam zu gehende Straßen eröffnen, Mut einflößen und den Einsatz auf lokaler Ebene verstärken können.“ All das schwingt also in dem Motto mit.

„Und genau aus diesem Grund hat Papst Franziskus seine Reise nach Kanada auch als „Bußreise“ bezeichnet – das hat er zuvor noch bei keiner Reise getan und das wird sich in diesem Fall wie ein roter Faden durch die Reise ziehen.“

Du sprachst auch von Versöhnung und Vergebung, wieso?

Radio Vatikan: Die kanadischen Indigenen, die besonders aus drei Gemeinschaften bestehen, nämlich den First Nations, den Inuit und den Metis (also den Abkömmlingen von Beziehungen zwischen Indigenen und europäisch geprägten Bewohnern Kanadas, Anm.) leiden bis heute darunter, wie sie durch die Autoritäten des Landes behandelt wurden und vielleicht auf subtilere Weise auch noch werden. Indigene sind im Durchschnitt ärmer als die anderen Einwohner des Landes, kämpfen mit einer Vielzahl von Problemen…

Wir dürfen nicht vergessen, es war praktisch ein staatliches Programm, nach dem Kinder aus indigenen Gemeinschaften seit Mitte des 19. Jahrhunderts in sogenannten Residential Schools untergebracht wurden und dort praktisch eine Auslöschung ihrer Geschichte und Kultur erfahren haben, Missbräuchen ausgesetzt waren und von ihren Gemeinschaften und Eltern abgesondert wurden. Es herrschte eine hohe Sterblichkeit dort, wegen mangelnder Hygiene oder mangelnder Nahrung, und die Leichen der Opfer wurden den Eltern auf Anweisung der Regierung nicht zurückgegeben, sondern teils auf dem Gelände selbst oder in umliegenden Friedhöfen notdürftig und manchmal auch in Massengräbern bestattet. Das geschah vor allem, um die Kosten für die Überführung der Leichen zu sparen.

Also eine Entartung, der die immer wieder durch den Papst gescholtene kulturelle Kolonialisierung zugrunde liegt. Diese Schulen wurden durch den Staat finanziert, aber oft waren kirchliche und natürlich auch katholische Gemeinschaften Träger dieser fürchterlichen Heime. Und genau aus diesem Grund hat Papst Franziskus seine Reise nach Kanada auch als „Bußreise“ bezeichnet – das hat er zuvor noch bei keiner Reise getan und das wird sich in diesem Fall wie ein roter Faden durch die Reise ziehen.

Gedenken an die 215 Kinder, deren Überreste auf dem Gelände dieser ehemaligen Residential School in Kamloops gefunden wurden.

Hat denn die Ortskirche überhaupt nichts getan, um auf diesem Weg der Heilung und Versöhnung zu gehen, so dass es nun der Papst richten muss?

Radio Vatikan: Nein, so kann man das nicht sagen. Erst einmal darf man sich schon auch vor Augen halten, dass es nicht nur die katholische Kirche ist, um die es hier geht, sondern um eine Aufarbeitung kolonialer Praktiken, die von der Regierung orchestriert und finanziert wurden und an der viele Gruppen beteiligt waren. Aber die katholische Kirche erkennt ihren Anteil der Schuld in dieser Angelegenheit ohne Ausflüchte an, schon mehrfach haben einige katholische Ordensgemeinschaften, die besonders involviert waren, die Indigenen öffentlich um Verzeihung gebeten – nicht nur dafür, dass sie in diesen schrecklichen Residential Schools die direkte Verantwortung für die Misshandlungen hatten, sondern auch dafür, dass die Schulen ÜBERHAUPT existierten. Denn allein das ist ja schon ein Zeichen für die Missachtung und Geringschätzung der indigenen Kulturen, und die Kinder, die in diesen Schulen untergebracht waren, sollten sich vollständig und auf Biegen und Brechen in das von europäischen und amerikanischen Siedlern geprägte System einfügen.

Haben denn auch die Bischöfe konkrete Schritte für eine Heilung unternommen?

Radio Vatikan: Die Bischofskonferenz Kanadas hat im Rahmen einer nationalen Übereinkunft 2005 drei sehr wichtige Verpflichtungen auf sich genommen, einmal die Zahlung von 29 Millionen kanadischen Dollar an die Indigenen, die Realisierung von konkreten Initiativen für die „Heilung und Versöhnung“ im Gesamtvolumen von 25 Millionen Dollar und außerdem die Organisation einer Fundraising-Kampagne, mit der weitere 25 Millionen Dollar zusammenbekommen werden sollten. Ganz haben sie das trotz großer Anstrengungen zwar nicht geschafft, aber es wurde 2015 durch die Regierung anerkannt, dass sie angemessene Schritte zur Erreichung dieses Ziels unternommen haben. Und in Folge hat die Bischofskonferenz auch noch einmal einen draufgesetzt und sich zur Zahlung von 30 Millionen Dollar verpflichtet.

Das Treffen im Vatikan mit dem Papst wiederum kam ja auch durch Vermittlung und in Begleitung mit den kanadischen Bischöfen zustande und wurde sowohl von den Indigenen als auch von den Bischöfen als sehr wertvoll und fruchtbar empfunden. Der Papst hat ja mit seiner Scham und seinem Schmerz nicht hinter dem Berg gehalten, er hat sich die Zeugnisse angehört und glaubwürdig seine Entschuldigungsbitte formuliert. Gute Voraussetzungen also, um jetzt bei dieser Reise auf diesem Weg der Versöhnung weiterzugehen und neue Impulse zu geben.

Papstreise

Diese starke Konzentration auf die Belange der Indigenen geht ja auch aus dem Logo der Papstreise hervor?

Radio Vatikan: Ja, das Logo gefällt mir diesmal besonders gut. Es wurde durch einen indigenen Künstler aus der Gemeinschaft der Metis geschaffen, er heißt Shaun Vincent, und er hat selbst erklärt, dass er sich mit diesem Logo vor allem auf die Tradition der Indigenen stützt. Es handelt sich um einen stilisierten „Circle of Life“, wenn man so sagen will, also einen Kreis, der aus Figuren besteht, die die indigene Philosophie und Lebensweise widerspiegeln. Man erkennt eine Büffelherde, eine Gruppe Karibus, einen Fisch und einen Adler, aber auch die Elemente Wasser, Luft und Erde, außerdem ein Element der Metis – und ganz oben sieht man auch eine Friedenstaube und die Petrus-Schlüssel.  „Ein Kreis kann überall im indigenen Leben gefunden werden“, meinte der Künstler dazu. In einem Kreis seien alle gleichwertig und sichtbar. Er entspreche der Tradition und der Geschichte, dem, was die Indigenen sind. In der Mitte des Symbols wiederum ist – nichts – um die Ruhe und das Vertrauen darzustellen, die bei dieser Reise im Zentrum herrschen müssen.

Der Papst hat wegen seiner Knieschmerzen erst kürzlich seine Afrikareise abgesagt, ist eine solche lange Reise denn nicht zu anstrengend für den Papst?

Radio Vatikan: Natürlich ist es eine wirklich anstrengende Reise. Wir haben gesehen, wie leid es dem Papst getan hat, dass er nicht in den Kongo und nach Südsudan reisen konnte, und welche Anstrengungen er unternommen hat, um sein Knie wieder fit zu bekommen. Das hat er ja auch immer mal wieder am Rand von Begegnungen gesagt. Also, er möchte unbedingt vermeiden, dass auch diese Reise abgesagt oder verschoben werden könnte. Wir können uns aber auf jeden Fall darauf einstellen, dass er viele Wege im Rollstuhl zurücklegen wird, vielleicht wird er bei den Messen vorstehen, aber nicht selbst zelebrieren. Insgesamt glaube ich, dass er alles daran setzen wird, sein Programm durchzuziehen, aber natürlich wird seine Entourage dafür sorgen, dass es so einfach wie möglich für ihn gemacht wird.

Abschließend gefragt, Beobachter sprechen davon, dass es eine schwierige Reise sein wird – darauf hat Franziskus selbst ja auch vor ein paar Tagen bei einem Gespräch mit Jesuiten Bezug genommen. Aber er selbst sagte bei der Gelegenheit, dass er glaube, dass es eine einfache Reise werden würde. Was stimmt denn nun?

Radio Vatikan: Dazu muss man natürlich sagen, dass Franziskus diese Bemerkung von der „einfachen“ Reise mit einem Lachen gemacht hat. Also ihm ist schon klar, dass es eine schwierige Reise wird, sowohl was die körperlichen Anstrengungen und die Zeitverschiebung angeht – er ist immerhin Mitte 80 und hat schwere Knieprobleme! – als auch was die Erwartungen angeht, die vor allem die Indigenen in seine „Bußreise“ nach Kanada legen.

Andererseits, so wie ich den Papst kenne, sieht er die Reise insofern tatsächlich als „leicht“ an, weil er mit einem klaren Ziel vor Augen dorthin geht, nämlich demütig und in Tradition mit anderen Vergebungsbitten (man denke an die ,Reinigung des Gedächtnisses‘ von Johannes Paul II. zum Heiligen Jahr 2000, oder die Vergebungsbitte Benedikt XVI. 2010 im Skandal um den sexuellen Missbrauch) noch einmal den Indigenen seine tief empfundene Scham und Reue für die Verbrechen auszudrücken, die auch durch Mitglieder der katholischen Kirche an ihren Angehörigen verübt worden sind. Und das ist ihm ein echtes Anliegen, das ihm deshalb auch nicht schwerfallen wird. Ob es dann bei der Heilung und Versöhnung wirklich helfen wird, das kann nur die Zeit zeigen.

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