„Sei du selbst!“ – dieser Appell prägt die Kultur unserer Gegenwart. Vor allem junge Menschen sehnen sich danach, ihre eigene Sprache zu finden, originell handeln zu dürfen und als unverwechselbare Persönlichkeiten sichtbar zu werden. Authentizität ist zu einem Leitwert geworden: mutig das Eigene zu leben, anstatt bloße Rollen zu spielen.
Auch Pater Josef Kentenich, Gründer der Schönstattbewegung, maß diesem Wert große Bedeutung bei. Er selbst lebte in hohem Maße authentisch und ermutigte dazu, in allen Lebensbereichen echt zu sein: vor sich selbst, vor den Mitmenschen – und vor allem vor Gott. Ein oft zitiertes Bild von ihm lautet: „Wir sollen mit dem lieben Gott sprechen, wie uns der Schnabel gewachsen ist.“ Von dieser ursprünglichen Authentizität im Gebet erwächst jede andere Form der Echtheit: im Handeln, in der Begegnung mit Menschen und in den grundlegenden Lebensentscheidungen.
In diesem Horizont ist auch das Schönstätter Konzept des „persönlichen Ideals“ zu verstehen. Heiligkeit bedeutet bei Kentenich nie ein Überformen oder Uniformieren, sondern eine Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Die Gnade baut auf der Natur auf – die einmalige Originalität des Menschen wird nicht ausgelöscht, sondern vertieft und erhoben.
Authentizität in der Geschichte Schönstatts
Wie grundlegend Authentizität für die Entstehung und Entwicklung der Bewegung war, zeigt sich in den Biographien jener Persönlichkeiten, die als „Helden Schönstatts“ bezeichnet werden:
Josef Engling – Der Grundstein durch das Volumen seines Herzens
In der Anfangszeit Schönstatts war es Josef Engling, der mit der besonderen Weite und Empfänglichkeit seines Herzens den Funken aufnehmen konnte, der aus der Inspiration Pater Kentenichs entstand. Seine Tagebücher, erfüllt von Selbstreflexion und geistlichem Ringen, machen sichtbar, wie das Ideal Schönstatts in einer Seele Gestalt gewinnt. Mit allen Höhen und Tiefen, mit Kämpfen gegen Trägheit, aber auch mit einer wachsenden Liebe zur Gottesmutter, wurde er zum lebendigen Zeugnis dafür, dass Heiligkeit zutiefst authentisch und lebensnah ist. Auch sein Ringen, nicht so viel Zeit dem Kartenspiel zu widmen, macht ihn authentisch – er war ein guter Spieler, der gerne zum Spiel eingeladen war. Dennoch – angesichts des „ganz neuen Spiels“ – nämlich: Schönstatt, bemühte er sich, auf das Kartenspiel möglichst zu verzichten. Trotz der Rückfälle blieb er auf dem Weg des geistigen Wachstums.
Einer der vier Vorsätze, die er selbstständig bei seinen Privatexerzitien 1915 formuliert hat, klingt: »Lieber Gott, lass mich lieber sterben, als Dich auch nur durch eine lässliche Sünde beleidigen«. Es mag heute verwundern, die Höhe des Ideals, das er sich damals gestellt hat. Dennoch spiegelte diese Bitte die tiefe Sehnsucht seines Herzens, die sein Wirken und Handeln bestimmte.

Gertraud von Bullion – Pionierin weiblicher Führung

Gertraud von Bullion brachte eine neue Dimension in die Bewegung: Sie eröffnete Schönstatt für die Frauen. Mit Mut und geistiger Klarheit stellte sie die Frage, ob Frauen nicht ebenso wie Männer eine Führungs- und Verantwortungsgemeinschaft im Bund bilden dürften. Trotz anfänglicher Widerstände – es hieß, Frauen könnten die Bewegung schwächen oder gar ihren Tod sein – lebte sie selbst auf hohem Niveau die geforderte Heiligkeit und apostolische Verantwortung. Damit wurde sie zur Wegbereiterin weiblicher Leadership in Schönstatt, lange bevor dieser Begriff allgemein in der Kirche oder Gesellschaft selbstverständlich war.
Sie entfaltete eine weibliche Spiritualität, die originellen Wortschatz und Sprache gebrauchte. U.a. hat das Wort: Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle gespielt:
Wohin wir schauen, alles ist Gnade, und dazu täglich, ja stündlich oft die rührendsten Aufmerksamkeiten! Es macht warm, wenn wir frieren, wenn wir mit neu geschärftem Blick der „Aufmerksamkeiten“ achten, dann muss Gegenliebe erwachsen in unserm Herzen, es ist gar nicht anders möglich.
Franz Reinisch – Unerschrocken bis zum Martyrium
Franz Reinisch war ein Mann klarer Worte und kompromissloser Konsequenz. Seine Liebe zu Schönstatt verband er mit einem leidenschaftlichen Engagement für Wahrheit und Gewissen. Als einziger katholischer Priester verweigerte er den Fahneneid auf Hitler. Er sagte: „Es muss Menschen geben, die gegen den Missbrauch der Autorität protestieren; und ich fühle mich berufen zu diesem Protest.“ Trotz aller Überredungsversuche blieb er standhaft – wissend, dass er damit sein Leben riskierte. Als es dann tatsächlich darum ging, sein Leben auf das Spiel zu setzten, folgte er seinem Gewissen, sein Leben möglichst teuer zu verkaufen. Er opferte es in der Überzeugung, dass sein Blut zu einer Erneuerung des Glaubens in Deutschland und Europa beitragen könne. So entzündete er am Ort der Finsternis, Berlin, die Flamme einer Liebe, die bis heute leuchtet.

Fazit – Echtheit als Weg zur Heiligkeit
Was verbindet diese drei Gestalten? Sie alle antworteten mit ihrem Leben auf die Einladung Kentenichs, „der Welt Heilige zu schenken“. Ihre Persönlichkeiten waren keineswegs glatt oder angepasst; manches an ihnen wirkte kantig, ungewöhnlich oder provozierend. Doch gerade durch diese Echtheit, geläutert und erhoben durch die Gnade, wurden sie zu unverwechselbaren Gestalten von Heiligkeit.
Ihr Zeugnis zeigt: Authentizität ist mehr als ein modernes Schlagwort. Sie ist ein geistlicher Weg. Wer den Mut hat, sich mit allen Eigenheiten in Gottes Hand zu legen, entdeckt in sich nicht nur eine persönliche Originalität, sondern wird zugleich zu einem Baustein für die Erneuerung von Kirche und Gesellschaft.
Ausgewähltes Foto: Guilherme Brum / PMSM
Lektorat: Hildegard Kaiser