Synodalität als Aufforderung zu einem „unvollständigen Denken“

Pedro Paulo Weizenmann

Stille erfüllte den Raum, während wir etwas gespannt warteten. Kardinal Mario Grech [1] musste in jedem Moment kommen. Er sollte in dieser Woche Gast beim Gemeinschaftsabend im „Lay Center“ – Laienzentrum sein, wo eine internationale, generationsübergreifende und interreligiöse Gruppe von etwa 20 Studenten der verschiedenen Päpstlichen Universitäten in Rom lebt und diesen Moment ihres Lebens in der Ewigen Stadt gemeinsam erleben will. Es war das erste (und bisher einzige) Mal, dass er mit uns allen zusammen war, die hl. Messe zelebrierte und mit uns gemeinsam aß.

Schon als er den Raum betrat, beobachteten wir bei ihm eine gewisse Besonnenheit. Seine Anwesenheit war nicht zu übersehen, denn er lächelte so fröhlich und verbreitete eine heitere Atmosphäre. Wir fühlten uns alle sofort wohl.

Während der Heiligen Messe

Eine Überraschung gab es am Ende des Evangeliums, als die Predigt beginnen sollte. Wieder Stille, aber diesmal ohne Spannung. Er verharrte eine Weile in stiller Betrachtung, und wir folgten ihm in ziemlich organischer Art. Diese Stille wurde erst unterbrochen, als er schließlich vorschlug: „Warum versuchen wir nicht ein synodales Experiment? Ihr wisst doch, dass es dem Prediger von Zeit zu Zeit guttut, wenn ihm auch gepredigt wird…“ So lud er uns ein, etwas unserer Reaktionen auf das Wort Gottes, das wir gerade gehört hatten, kundzutun, „und dann werde ich versuchen, am Ende einige Gedanken hinzuzufügen.“

Vielleicht überraschenderweise – da wir diesen Schritt nicht erwartet hatten – schien es ganz natürlich zu sein. Prompt fing jemand an, gefolgt von einem anderen, und dann noch einer, bis die meisten von uns kurz gesprochen hatten. Die erste Lesung stammte aus der Apostelgeschichte über die Anwesenheit von Paulus in Athen. Darauf lasen wir Psalm 148 „Himmel und Erde sind voll deiner Herrlichkeit“. Das Evangelium war von Johannes, in dem Jesus seinen Jüngern sagt: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen.“

Innere Unruhe

Ein Student meldete sich zu Wort und griff genau diese Zeilen auf. Er erzählte, wie viel Trost er durch Jesu Worte erhielt, da sie uns die Gegenwart des Heiligen Geistes zusicherten, der uns den Weg durch unsichere Zeiten weist. Als ich an der Reihe war, sagte ich, dass dieselben Zeilen in mir eine ganz andere Reaktion ausgelöst hatten. Sie hatten mich unruhig gemacht, weil mir klar wurde, wie viel ich „jetzt nicht ertragen kann“ [2], wie viel ich nicht verstehe oder einfach nur bezweifle – und zwar sehr stark – und ich damit ringe. Ich gab zu, dass ich mir wünschte, vielleicht die gleiche Art von Vertrauen zu haben wie derjenige, der vom Trost erzählte, den ihm diese Worte gaben. Aber in diesem Moment fühlte ich mich einfach unruhig.

Mir kamen Worte von Papst Franziskus in den Sinn, mit denen ich schon seit einigen Monaten zu kämpfen hatte, und ich zitierte sie. Er predigte zu Beginn seines Pontifikats vor der Jesuiten-Gemeinschaft in der Kirche von San Gesù, dass:

„ein Jesuit zu sein [im Sinn von Christ-Sein] bedeutet, ein Mensch des unvollständigen Denkens, des offenen Denkens zu sein, weil er immer mit Blick auf den Horizont denkt, der die immer größere Herrlichkeit Gottes ist, der uns unaufhörlich überrascht. Und das ist die Unruhe unseres inneren Abgrunds“. [3]

Das war die Quelle meiner inneren Unruhe: Ich fühlte mich unvollendet, weil es einfach so viel gab, was ich „noch nicht ertragen konnte“ (Joh 16:12).

Zu meiner Überraschung ging Kardinal Grech in seiner Schlussbetrachtung darauf ein, indem er versuchte, einige Parallelen zwischen unseren Reaktionen und dem Aufruf zur Synodalität herzustellen. Er wechselte vom Italienischen zum englischen Wort, das ich benutzt hatte, und fragte: „Restlessness, no“? Er sah mich an und betonte: „Wissen Sie, diese Unruhe ist eine Gabe, die wir mehr kultivieren sollten.“

Ein Geschenk? Dieser Gedanke überraschte mich

Das hat meine Sichtweise auf meine Erfahrungen völlig verändert. Zuvor hatte ich mich darüber geärgert, dass ich nicht den gleichen Trost empfand wie mein Freund, und war nun überrascht von der Vorstellung, dass meine negative Reaktion (so wie ich sie zunächst wahrgenommen hatte) in Wirklichkeit ein Geschenk sein könnte? Und ein Geschenk, das „wir mehr kultivieren sollten“?

So ist es, versicherte uns Kardinal Grech, denn nur diese tief empfundene Unruhe kann uns für das Geschenk des Heiligen Geistes öffnen, um seine Überraschungen zu empfangen und seine neuen Wege anzunehmen.

„Jesus stürzt uns in Krise“, unterstreicht Papst Franziskus, „wir sollten besorgt sein, wenn er uns nicht in Krise stürzt, weil wir seine Botschaft verwässert haben könnten!“ [4] Deshalb bat er die Beamten der römischen Kurie am Ende seiner Weihnachtsansprache im Jahr 2020, dem Jahr, in dem die Pandemie die ganze Welt in eine tiefe Krise stürzte, „bitte, betet weiter für mich, damit ich den Mut habe, in Krise zu bleiben“. [5]

Hinter einem zu starken Gefühl der Sicherheit oder Gewissheit kann sich ein starres Herz verbergen, dessen Glaube in Wirklichkeit gelähmt ist. In Anlehnung an die üblichen Worte von Papst Franziskus forderte Kardinal Grech, dass wir uns vor jenen „perfekten Christen“ hüten sollten, die meinen, auf alles eine Antwort zu haben.

Wenn jemand auf alle Fragen eine Antwort hat, ist das der Beweis, dass Gott nicht mit ihm ist. Es bedeutet, dass er ein falscher Prophet ist, der die Religion für sich selbst benutzt. Die großen Führer des Volkes Gottes, wie Mose, haben immer Raum für Zweifel gelassen. Wir müssen Raum für den Herrn lassen, nicht für unsere Gewissheiten; wir müssen demütig sein. Ungewissheit gehört zu jeder wahren Unterscheidung, die offen dafür ist, Bestätigung im geistlichen Trost zu finden. [6]

Kirchliche Unruhe

In seiner abschließenden Reflexion in der „Predigt“ im Laienzentrum hob Kardinal Grech dann hervor, dass der Aufruf, diese Unruhe zu pflegen, nicht nur jeder von uns persönlich annehmen sollte, sondern dass auch die Kirche als Ganzes lernen muss, diese Unruhe gemeinsam mehr zu fördern, auch aus institutioneller Sicht.

Das ist tatsächlich der Kern der Aufforderung von Papst Franziskus zur synodalen Umkehr: eine Kirche, die der Versuchung des Triumphalismus widersteht, dem wir im Lauf der Geschichte oft verfallen sind, und die ehrlich anerkennt, dass wir einfach nicht auf alles eine Antwort haben [7]; dass einige der Antworten, die wir in der Vergangenheit gegeben haben, sehr falsch waren und daher ernsthafte Reue erfordern [8]; und – was jetzt vielleicht am wichtigsten ist – eine Kirche, die sich bewusst der Realität öffnet, dass einige der Antworten, die wir jetzt geben, zumindest nicht die besten sind – wenn nicht sogar zutiefst schädlich [9]. Letzten Endes ist der Aufruf zur synodalen Umkehr der Aufruf zu einer Kirche, die sich immer mehr bewusst wird, dass es so viel gibt, was wir noch lernen müssen, dass es „so viel gibt, was wir noch nicht ertragen können“ (Joh 16,12) – und dass die Unruhe, die aus einem solch unvollständigen Denken kommt, die einzige Haltung ist, die uns auf den Weg zur „ganzen Wahrheit“ bringen kann, offen für die Führung und die Überraschungen des „Geistes der Wahrheit“ auf dem Weg der Geschichte.

Dazu gehört auch die Bereitschaft, wirklich von anderen zu lernen – was ernsthaftes Zuhören, Dialog und Demut erfordert.

„Das Bedürfnis loslassen, immer Recht zu haben“

Dies erfordert ein „Loslassen des Bedürfnisses, immer Recht zu haben“ – und, noch einmal, sowohl persönlich als auch als Kirche – eine Erkenntnis, die mir während eines tiefen Gesprächs über die Bedeutung der Synodalität mit Harriet, einer guten Bekannten, die ich hier in Rom habe, klar wurde. Sie erzählte mir, wie sie herausfand, was der synodale Ruf für sie persönlich in ihrem täglichen Leben bedeutet.

Sie erwähnte zum Beispiel, wie sie anfangs in unserem neuen Job im vatikanischen Dikasterium zur Förderung der integralen menschlichen Entwicklung, wenn jemand sie nach ihrer Meinung zu etwas fragte, aus Angst, falsch zu liegen, eine möglichst diplomatische Antwort gab, indem sie die verschiedenen Alternativen abwog, um sich nicht zu kompromittieren. Aber erst als sie sich von dem Zwang, im Recht zu sein, befreite und sich erlaubte, ihre ehrliche Meinung zu äußern, wurde sie bei den anstehenden gemeinsamen Aufgaben am nützlichsten und am meisten geschätzt. So konnte sie ihre Kreativität einsetzen, und auch wenn dieser Ansatz manchmal dazu führte, dass sie als Einzelne einen falschen Weg einschlug, den sie später wieder rückgängig machen musste, so konnte sie doch nur durch das Eingehen auf diese Schwachstelle dem gesamten Team helfen, am Ende des Tages den besten Weg zu finden.

Meine Erfahrungen auf dem Pfingstkongress in Schönstatt

Der Besuch von Kardinal Grech im Laienzentrum war für mich auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil er mir gleich nach dem Abendessen bestätigte, dass ich an der Arbeit des Synodensekretariats teilnehmen kann. Mein Gespräch mit ihm und Schwester Nathalie Becquart hatte fast eine Woche vor diesem Besuch stattgefunden. Die Wochen unmittelbar nach diesem Besuch waren ebenfalls denkwürdig, denn ich reiste zuerst in die Vereinigten Staaten zu meiner Aufnahmefeier in Harvard und dann nach Deutschland, um am Pfingstkongress in Schönstatt teilzunehmen. Beides waren zutiefst synodale Erfahrungen, die in mir – wenn ich jetzt darauf zurückblicke – eine innere Freiheit erneuerten, um die ich in den vorausgegangenen Monaten so lange gerungen hatte.

Woher kam diese innere Freiheit? Ich erinnere mich, dass ich den Pfingstkongress mit tiefer Dankbarkeit für das Geschenk verließ, als Werkzeug für etwas Wichtiges benutzt worden zu sein, das mir in der Tat sehr am Herzen lag und das größer war als ich selbst. Ich erinnere mich, dass ich danach mit Pater Alexandre Awi Mello, ISch, sprach und ihm diesen Schlüsselsatz von Papst Franziskus in Evangelii Gaudium, mitteilte, der mir kam, als ich über den Kongress nachdachte: „Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile.“ [10]

Zu der Gruppe zu gehören, die den Abschlussbrief des Pfingstkongresses 2022 an die ganze Schönstattfamilie mitverfasst hat, war sicherlich ein Geschenk, aber manchmal auch sehr mühsam. Die schlaflosen Nächte waren kein Problem, wenn man bedenkt, dass ich in die endgültige Synthese Einsichten aus der ganzen Gruppe einarbeiten musste, mit denen ich persönlich in einigen Fällen gar nicht mehr einverstanden war. Aber diese Spannung wies genau darauf hin, wo auch die Freiheit zu finden war: Im Abschlussbrief ging es nicht um mich, sondern um die Schönstattfamilie. Wenn ich ihn persönlich schreiben würde, würde er gewiss ganz anders aussehen als der, den wir jetzt haben, aber er würde auch seinen Wert, sein Wesen und seinen Charakter verlieren.

Der Brief sollte nicht zum Ausdruck bringen, wo ich persönlich zu den Herausforderungen stehe, mit denen die Schönstattfamilie zu diesem Zeitpunkt konfrontiert ist, sondern wo die Schönstattfamilie als Ganzes steht. Die Schönstattfamilie hat sich durch ihre Vertreter zu Wort gemeldet und Stellung bezogen, wo sie jetzt steht, und als jemand, der zu dieser Familie gehört, unterschrieb ich auch gerne den Abschlussbrief und bezeugte den klaren Konsens, den wir unter der Führung des Heiligen Geistes erzielten. Insgesamt bin ich persönlich davon überzeugt, dass Synodalität bei der Konsolidierung einer Kirche des und eher des oder der Ruf des Heiligen Geistes – durch Papst Franziskus – für uns ist, um heute ganz praktisch und mit der ganzen Kirche unser Schönstatt-Charisma einer „organischen Art zu denken, zu leben und zu lieben“ zu konkretisieren. [11]

Der Pfingstkongress und das Kontinentaldokument der Synode

Besonders dankbar bin ich dafür, dass mich der Pfingstkongress als eine tiefgreifende Erfahrung der Synodalität innerhalb Schönstatts auf eine ähnliche Erfahrung der Synthese von Unterscheidungsvermögen vorbereitet hat. Ich hatte das Glück, an zweiwöchigen Exerzitien in Frascati teilzunehmen, in denen eine vom Sekretariat der Synode ausgewählte Gruppe von Theologen und Seelsorgern alle Berichte der ersten Konsultationsphase des aktuellen universalen synodalen Weges durchgearbeitet hat, um zu einer ersten universalen Synodensynthese zu kommen [12]. Das Endergebnis war das Dokument „Vergrößere den Raum deines Zeltes“ (Jes 54,2), ein Arbeitsdokument für die kontinentale Phase der Synode, in dem die Stimmen des gesamten Volkes Gottes aus der ganzen Welt, die während der ersten Phase der Synode konsultiert wurden, festgehalten sind. [13]

Über ein solches historisches Dokument, das Quellenmaterial und die Methodik, die ihm zugrunde liegt, lässt sich viel sagen [14]. Nachdem ich die meisten Berichte gelesen habe, die im Sekretariat der Synode eingegangen sind, muss ich zumindest erwähnen, wie berührt – und verändert – ich von der Art und Weise war, wie Menschen aus buchstäblich allen Lebensbereichen bereit waren, wirklich ihre Herzen mit ihren tiefsten Freuden und Sorgen zu öffnen, um die synodale Umkehr zu verwirklichen, zu der Papst Franziskus die ganze Kirche aufruft. Darüber hinaus bin ich beeindruckt von der Art und Weise, wie das Bild des Zeltes – Ergebnis denkwürdiger persönlicher Gespräche bis spät in die Nacht unter uns in Frascati – die Dynamik des „unvollständigen Denkens“ einfängt, das die Synodalität erfordert: das Zelt, „das das Volk auf seiner Reise durch die Wüste begleitete“, ist „dazu aufgerufen, sich auszubreiten, aber auch zu bewegen“, und seine Struktur mit ihren Tüchern, Seilen und Pflöcken „muss die verschiedenen Kräfte und Spannungen, denen es ausgesetzt ist, im Gleichgewicht halten: eine Metapher, die die Notwendigkeit der Unterscheidung zum Ausdruck bringt“.

Um das Zelt zu vergrößern, müssen andere darin willkommen geheißen und Raum für ihre Vielfalt geschaffen werden. Dazu gehört also die Bereitschaft, sich selbst aus Liebe zu sterben (verlieren), um sich selbst in und durch die Beziehung zu Christus und dem Nächsten wiederzufinden.

 

[1] Cardinal Mario Grech, from Malta, is the current Secretary General of the Synod

[2] Jn 16:12

[3] Pope Francis, Homily, Holy Mass on the Liturgical Memorial of the Most Holy Name of Jesus, Church of the Gesù, Rome, Friday, 3 January 2014,

[4] Pope Francis, Angelus, St. Peter’s Square, Sunday, 22 August 2021

[5] Pope Francis, Christmas Address to the Roman Curia, Benediction Hall, Monday, 21 December 2020,

[6] Antonio Spadaro SJ, “Interview with Pope Francis”, L’Osservatore Romano, 21 September 2013

[7] On how an incomplete thinking with a dialogical mentality “is the opposite of triumphalist thinking”, see Diego Fares SJ, “Notes for an ‘Incomplete Thought’”, La Civiltà Cattolica, 4 Febf6.

[8] See, e.g., Christopher Kellerman SJ, “Slavery and the Catholic Church: It’s time to correct the historical record”, America, 15 February 2023

[9] See, e.g., Massimo Faggioli, “The Catholic Sexual Abuse Crisis as a Theological Crisis: Emerging Issues”, Theological Studies (Baltimore, 2019) 80 (3): 572–89,

[10] Pope Francis. Evangelii Gaudium Apostolic Exhortation of the Holy Father Francis on the Proclamation of the Gospel in Today’s World, 24 November 2013,

[11] See Elise Ann Allen, “Synod organizers sell process as cementing Catholicism as church of ‘both/and’”, Crux, 28 October 2022

[12] For a great inside account of what happened during these two weeks in Frascati, see Austen Ivereigh, “I helped write the first global synod document. Here’s what we heard from Catholics around the world.” America, 27 October 2022,

[13] See General Secretariat of the Synod, “Enlarge the Space of Your Tent” (Is 54:2) Working Document for the Continental Stage, Rome, October 2022,

[14] For a great account of this document, see Giacomo Costa SJ, “‘For A Synodal Church’: The Working Document for the Continental Stage”, La Civiltà Cattolica, 16 November 2022

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