Der Freitagnachmittag des internationalen Pfingstkongresses der Schönstatt-Bewegung weitet das Beobachtungsfeld auf Entwicklungstendenzen in der Gesellschaft. Fünf Workshops beschäftigen sich mit je einem dieser Zeitzeichen.
Workshop „Macht und Partizipation“
Im Filmsaal des Pater Kentenich-Hauses läuft dreisprachig (Deutsch, Spanisch, Englisch) der Workshop Macht und Partizipation. Referent ist der Politikwissenschaftler Professor Dr. Mariano Pasquale Barbato, Deutschland. Moderatoren sind Dr. Ingeborg und Richard Sickinger, Leiter der Schönstattbewegung Österreich. Zu Beginn seines Statements weist der Referent darauf hin, dass sich Macht auch wissenschaftlich nicht klar definieren lasse. Barbato beschreibt die klassischen Typen legitimer Herrschaft und lenkt den Blick auch auf die Kirche: Das kirchliche Amt steht heute sehr unter Druck, charismatisch zu wirken. Heute muss der Papst sozusagen auch der „Volksschauspieler“ sein, er muss charismatisch sein. Die Medien fordern den Popstar. Ebenso Bischöfe, Priester… Diese Probleme der Kirche seien Probleme, die auch in der Demokratie stattfinden. Der Referent verweist auf den Einfluss der Medien in diesem Kräftespiel.
Bei der Frage, wie sich Macht legitimiert, weist Barbato auf die unterschiedlichen Grundlagen in Staat und Kirche hin: Während sich die meisten Staaten heute darauf verständigt haben, dass die Legitimität vom Volk kommt, sei der Anspruch, unter dem die Kirche steht: Gott herrscht. In beiden Fällen könne man sich fragen: Ist das wirklich so? In den Demokratien: Herrscht wirklich „das Volk“, wie müsste ein Wahlverfahren sein, damit das zutrifft. Und in der Kirche: herrscht wirklich Gott? Oder ist es doch die Hierarchie? Auf diese spezielle Herausforderung: hierarchische Kirche – demokratische Gesellschaft geht der Referent noch genauer ein.
Spannend sind auch seine Anmerkungen zum Begriff Synodalität. Es sei ein sehr großer Unterschied zwischen Synodalität bzw. dem weltkirchlich synodalen Prozess im Verständnis Roms und dem „Synodalen Weg“ bzw. dem Verständnis von Synodalität in Deutschland. Gerade im Blick auf den deutschen Weg bringt Barbato als Politikwissenschaftler einige kritische Denkanstöße. Dies sind einige Aspekte der Ausführungen, die anschließend zu einer regen Diskussion führen.
Workshop: „Ökologie und globale Umweltveränderungen“
Der zweite Workshop im Pater Kentenich-Haus beschäftigt sich mit der Thematik Ökologie und globale Umweltveränderungen. Referent ist der junge Brasilianer Pedro Weizenmann, der gerade seine Thesen in Politikwissenschaft in Harvard verteidigt hat und im vatikanischen Dikasterium für menschliche Entwicklung arbeitet. Moderiert wird der Workshop, der in Englisch und Spanisch läuft, von Graciela und Beltrán Macchi aus Paraguay. Die Vielschichtigkeit, die in diesem Workshop zur Sprache kommt, spiegelt sich in den Fragen und Thesen, die dieses Arbeitsteam ins anschließende Plenum einbringt: „Wie sollen wir uns selbst erziehen und wie sollen wir erziehen?“ „Auf den Schrei der Erde, der Armen reagieren: auf den Schrei der Not antworten.“ „Armut als evangelischer Rat zur Wiedergeburt!“ „Einfache Lebensstile annehmen: ein schlichteres Leben leben.“ „Bindungsorganismus auf allen Ebenen fördern … – Sorge tragen und Antwort geben.“
Workshop: „Bildung/Wissen/Formation/Pädagogik“
Der dritte Workshop – in Spanisch und Deutsch im Tagungszentrum Marienland – kreist um Bildung/Wissen/Formation/Pädagogik. Ein Videovortrag von Laura Ramirez, Costa Rica, leitet in das Thema ein. Ramirez ist wissenschaftlich und war zuvor auch politisch im Feld der Erziehung tätig. Moderatorin ist Dr. Gertrud Pollak, Deutschland, die als langjährige Dezernentin für Schulen und Hochschulen im Bistum Mainz ihre reiche Erfahrung in die Diskussion einbringt, da die Referentin selbst nicht anwesend ist.
Auch hier ist bei angeregtem Austausch die Zeit fast zu kurz, um alle Aspekte zu diskutieren. Als besonders inspirierend wird von den Anwesenden der Brief eines unbekannten Schuldirektors empfunden, mit dem Frau Ramirez ihren Vortrag abschloss: „Verehrte Eltern, die Endexamina Ihrer Kinder fangen bald an. Ich weiß, alle sind nervös, denn Sie wollen, dass sie gut abschneiden, und das ist verständlich. Aber trotzdem eine Bitte: Es ist sehr wichtig, dass Sie sich erinnern, dass unter den Schülern, die dieses Examen machen werden, Künstler sind, die kein Bedürfnis haben, Mathematik zu verstehen. Oder dass darunter ein Unternehmer ist, den die Geschichte oder spanische Literatur nicht interessiert. Oder ein Musiker, dessen physische Qualifikation dafür nicht wichtig ist. Oder er ist ein durchtrainierter Athlet, dem physische Fähigkeit wichtiger ist als Chemie. Wenn Ihre Tochter oder Ihr Sohn gute Noten bekommt, großartig. Aber wenn das nicht geschieht, nehmen Sie ihm bitte nicht die Würde und das Selbstvertrauen. Sagen Sie ihm oder ihr, dass nichts passiert ist. Es war nur ein Examen! Ihre Kinder sind geschaffen worden für Projekte, die im Leben viel wichtiger sind. Sagen Sie ihm oder ihr, dass die Noten, die man bekommt, nicht das Wichtigste sind. Sagen Sie ihm, dass Sie ihn lieben und ihn nicht verurteilen. Wichtig im Leben ist nicht, dass jemand in allen Gebieten vollkommen ist, sondern dass er wirklich eine Passion besitzt für das, was ihn innerlich erfüllt. Herzlich – Amalio Gutierréz Álvarez.“
Workshop: „Ökonomie“
Ein weiterer Workshop im Tagungszentrum Marienland – in den Sprachen Spanisch und Englisch – beschäftigt sich mit Entwicklungen im Feld der Ökonomie. Es referiert Dr. Eduardo Jurado Béjar, Professor des Doktorandenprogramms der ESAI Business School der UEES Universität Guayaquil/Ecuador. Die Moderation hat Manrique Gutiérrez, Costa Rica.
Dr. Jurado beschreibt das Bündel von Faktoren, die eine dramatische Entwicklung fördern: politische Eigeninteressen, ein Führungsvakuum im ökonomischen Bereich, das immer mehr Dysfunktionalität und Unzufriedenheit hervorruft, in vielen Ländern die Situation einer jungen Generation, die durch mangelnde Bildungschancen von vornherein vom System ausgeschlossen ist und vieles andere mehr. „Wir haben den Kipppunkt erreicht“, so Jurado. Das zeige sich auch darin, dass sich die Wut der Opfer des Systems in zunehmend massiver Wut und Aggression und im Anwachsen populistischer Strömungen äußere. Seine Option: „Die Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, erfordern eine organische Führung und konzertierte politische Maßnahmen auf globaler Ebene, um schlimmere Folgen zu vermeiden und die wirtschaftlichen Aussichten zu verbessern.“ Er selbst setzt sich als Präsident von CIEES, eines Schönstatt-Zusammenschlusses von Unternehmern und Führungskräften, mit Leidenschaft dafür ein. Dem entsprechend lautet das Plädoyer dieses Workshops dann im Plenum: „Worauf es ankommt: Ausbildung von Führungskräften für den öffentlichen Dienst durch die Inspiration Pater Kentenichs, um auf die Herausforderungen in politischen und wirtschaftlichen Fragen zu reagieren.“
Workshop: „Spiritualität“
Ebenfalls im Tagungszentrum Marienland treffen sich Delegierte, die im Workshop Spiritualität mitwirken wollen. Referent ist Prof Dr. Luiz Carlos Susin, Brasilien. Den Workshop, der in Portugiesisch, Spanisch und spontan auch noch in Deutsch läuft, moderiert Dr. Geni Maria Hoss, Brasilien/ Deutschland. Professor Susin spricht über die Entwicklung von Spiritualität, das Aufkommen von neuen Bewegungen und Spiritualitäten. Er nimmt Veränderungen und Entwicklungstendenzen im Bereich der Spiritualität in den Blick.
Die Vielfalt der Aspekte, die in diesem Workshop angesprochen werden, bündelt sich in den Thesen, die die Mitwirkenden am Ende des Nachmittags im Plenum einbringen: „In der individualisierten Gesellschaft gibt es eine Sehnsucht nach Spiritualität; sie gibt Antwort auf die Suche nach Sicherheit.“ „Alles bringt Krise: Politik, Markt, Ökologie … – deswegen brauchen Menschen Sicherheit.“ „Wir stehen vor einer Wegkreuzung: Spiritualität sucht Neues; sucht Begegnungsorte.“ „Spiritualität ist fruchtbar, wenn wir die Einheit suchen.“
Gespräche an der BAR „Voces del tiempo“
Dieser sehr intensive Nachmittag setzt sich am Abend fort durch Gespräche an der BAR „Voces del tiempo“ (Zeitenstimmen). Die Teilnehmenden aller Workshops mischen sich an den „Bar“-Tischen und teilen miteinander über Sprachgrenzen hinweg ihre Erkenntnisse. Hier sind die Einzelnen bereits eingeladen, zentrale Werte und Kerngedanken für die Formulierung eines „Memorandums“ festzuhalten, das am Ende des Kongresses stehen wird. So endet dieser Tag mit einem regen und bunten geistigen Austausch.