Im Zentrum des Vorgangs des „Beobachtens“ steht am dritten Tag des Pfingstkongresses in Schönstatt die Kirche im Fokus. Pater Heinrich Walter vom Kernteam der Kongressleitung lenkt in seinem „geistlichen Wort in den Tag“ den Blick der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf das Wort über die frühen Christen: „Alle waren ein Herz und eine Seele“. Das zeige, wie Kirche von innen her Kirche gelebt werden könne. Eine Kirche, die eine existenzielle geschwisterliche Gemeinschaft ist, die aus dem Leben der Einzelnen das gemeinsame Werk erneuert, in der ein lebendiger Strom von Geist und Leben fließt, die durch eine lebendige Fühlung vital bleibt und bereit ist, zu einer immer neuen missionarischen Entscheidung.
Die Versuchung, Kirche der Zukunft nach eigenen Maßstäben zu phantasieren
Prof. Dr. Rodrigo Guerra-Lopez, Rom, Sekretär der vatikanischen Kommission für Lateinamerika, konfrontierte die Kongressteilnehmenden in einem ersten Vortrag unter dem Thema „Die Vision einer Kirche von Morgen“ mit seinen Gedanken zu einer „Kirche der Zukunft“. Es sei eine immer wiederkehrende Versuchung, sich eine solche Zukunftskirche nach eigenen Maßen zurechtzudenken, sagte Guerra-Lopez, der auch Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben und Mitglied der Theologischen Kommission des CELAM sowie Mitglied im Institut für die Familie Johannes Paul II in Mexiko ist.
Die einen, so Professor Guerra-Lopez tun es dadurch, dass sie sich in Krisenzeiten rückwärts orientieren. Hier nennt er als Beispiel die Gründung der Altkatholiken im Kontext des 1. Vatikanischen Konzils, aber auch die Tendenz in der Kirche vor dem 2. Vatikanischen Konzil, alle möglichen Entwicklungen in der Gesellschaft zu verdammen. Er erinnert an die Aussage, mit der Papst Johannes XXIII auf diese negative Haltung reagierte: Christus ist nicht gekommen, um die Welt zu verdammen, sondern um sie zu erlösen. Die Antwort des II. Vatikanischen Konzils war anders geprägt, die Person Christi stand im Mittelpunkt.
In der Kirche habe es in Krisenzeiten aber auch immer die umgekehrte Tendenz gegeben: nicht Traditionalismus, sondern die Meinung, Kirche der Zukunft müsse sich in allem der Lebenshaltung und den Werten der Gesellschaft anpassen, sie im Zeitgeist neu erfinden.
Christentum nicht auf ethische Werte reduzieren
Eine weitere Versuchung sei, die Kernbotschaft Jesu auf ethische Ansprüche zu reduzieren. So wichtig die christliche Moral sei, diese sie aber nicht das Zentrum des Christentums. Guerra-Lopez verweist auf ein Wort aus der Enzyklika Deus caritas est: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluß oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“ (DCE, Nr.1)
Es gehe also um die Begegnung mit einer Person, die sich aus Liebe für die Menschen hingegeben habe und dadurch Leben wandle. Erlösung, So Guerra-Lopez, ist nicht Wirkung eigener Willensanstrengung, sondern Geschenk aus der Hingabe Christi. Das II. Vatikanische Konzil hat diese Wahrheit wieder in die Mitte gestellt. Wenn es die Kirche „Licht der Völker“ nennt, dann nur, weil Christus in seiner Kirche leuchtet, in jedem einzelnen Getauften. In Christus wird die Kirche zum Volk Gottes, das gemeinsam durch die Zeit pilgert.
Synodalität: gemeinsam pilgernd unterwegs sein
Dieses gemeinsame Unterwegssein verlangt auch gemeinsame Teilhabe an Verantwortung. Synodalität, das heutige Wort für diesen Vorgang, bedeute wörtlich: zusammen den Weg gehen. Schon Paul VI. habe das Anliegen gehabt, die Bischöfe stärker in die Regierung der Kirche einzubeziehen. Papst Franziskus mache einen weiteren Schritt in dieser synodalen Einheit des Unterwegsseins: es ist wichtig, alle in ihrer Verantwortung ernst zu nehmen, alle auf diesem Weg einzubeziehen. Für Papst Franziskus ist Synodalität das, was Christus von uns für die Kirche im dritten Jahrtausend erwartet, so Dr. Guerra-Lopez.
Die die Tiefendimension von Synodalität muss täglich neu realisiert werden
Hier erinnert der Referent an ein Wort, das über die ersten Christen gesagt wurde: Seht, wie sie einander lieben und alles gemeinsam haben. Das sei die Tiefendimension von Synodalität: „Wir müssen im Leben beweisen, dass die menschliche Liebe stärker ist. Und sie ist es deshalb, weil Gott in diesen Menschen lieben kann – bis dahin, dass man vergeben kann, Frieden schaffen kann“, so Guerra-Lopez.
Im Alltagsprozess der Synodalität sei ein Zweifaches wichtig: „Erstens, wir sollen mit Mut sprechen. Und zweitens: Wir sollen aufeinander hören.“ Es sei zwar gut, dass in der Kirche zunehmend Raum ist, seine Stimme zu erheben. Aber die wahre Herausforderung der Synodalität sei, demütig hören zu lernen, gerade auch auf die, die anders sind und anders denken.
Communio und Synodalität müssen Hand in Hand gehen
Kirchliche Communio könne allerdings ohne Synodalität eine Form von Uniformität und Zentralismus werden. Synodalität ohne kirchliche Communio wiederum sei Populismus in der Kirche. Synodalität und Communio, so Guerra-Lopez, müssten Hand in Hand gehen: In der Synodalität geht es um eine Dynamik, die den anderen hört und innerlich aufnimmt. In anderen Worten ausgedrückt, sei Synodalität eine Einladung, „dass ich mich ändere, damit die Kirche sich ändern kann“. Die Kräfte, die die Kirche wirklich erneuern, seien dieselben Kräfte, die das Herz ändern. Entweder beginne die Erneuerung der Kirche in der einzelnen Person, oder sie beginne nicht.
Für Prof. Dr. Rodrigo Guerra-Lopez ist das Kirche der Zukunft: die Personen, die wahrgenommen haben, was Gott will, waren Menschen, die Gott in ihrem Inneren wirken ließen, die sich von ihm wandeln ließen. Dann kann Gott durch sie ausstrahlen und wirken.
Der konkrete Weg der Kirche und die Rolle der Bewegungen
In einem zweiten Vortrag unter dem Thema „Der konkrete Weg der Kirche und die Rolle der Bewegungen“ beschreibt der Referent die spezifische Sendung der Weltchristen (Laien) als Berufung zur Umgestaltung der Welt „in Christus hinein“, und zwar als Christinnen und Christen, die mitten in den Herausforderungen der Welt aus dem Glauben Entscheidungen treffen. Dabei gehe es um ein positives Selbstverständnis, die eigene Identität zu lieben und das Charisma eines Lebens mitten in der Welt zu entfalten. Die Haltung, sich als Nicht-Priester zu definieren, sei demgegenüber auch eine Art Klerikalismus von Laien. Hier seien die Bewegungen besonders gerufen auch mit Reifungsphasen ihres Charismas zu rechnen. Schwere und dunkle Zeiten hätten in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung.
Guerra-Lopez beobachtet, dass augenblicklich eine Reihe wichtiger geistlicher Bewegungen in Prüfungen stehen, indem manches schwindet. Dies sei ein Moment der Gnade. Hier müssten die Bewegungen auf das Testament Jesu unter dem Kreuz schauen: Er gibt uns neu Maria zur Mutter, die nimmt uns gerade in diesem Dunkel in ihre mütterliche Liebe hinein und danach kommt Pfingsten, ein neuer Einbruch des Heiligen Geistes.
Auch in Zeiten der Grenzerfahrung dürften die Bewegungen nicht ihre Sendung für die Welt vergessen: In Prüfungszeiten sollten sie sich nicht zurückziehen, sondern auch in aller Begrenztheit an die Peripherie gehen, im Aufbruch sein. Die Mission der Weltchristen sei es nicht, in der Sakristei zu bleiben, sondern der ganzen Welt Christus zu künden.
In der anschließenden Diskussion im Plenum unterstreicht Guerra-Lopez noch einmal den Hoffnungsaspekt: Bei der christlichen Geschichte gehe es um Zukunft. Es sei der Glaube, der weitergehe in der Zeit, der nach vorne treibe, in die Zukunft hinein. „Der Herr wird uns immer begleiten, er ist treu. Aber wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren!“